Freitag, 6. November 2015

Eintrag N3 - Bustopher Jones

Viele viele Bilder. Weil Museumsbesuch doch noch geklappt hat, last minute. Und weil wir wieder einen Garten besucht haben, Kyu Shiba Rikyu Garden. Aus dem 17. Jahrhundert, Aristokraten gestalteten ihn mit Meereszufluss und vielen Nachbildungen echter Landschaften, um Heimweh zu stillen (Fuji-san; Ponglai Mountain, auf dem man nicht altert). Den Fuji kann man von hier aus nicht mehr sehen. Im See ist auch kein Meerwasser mehr. Und durch den Bau der Shinkansen-Trasse gingen 4.300 m2 verloren. Auch von den Hubschraubern, Zügen, Autos rundherum gab es im 17. Jahrhundert noch nicht so viele. Ein Paar lässt sich hier fotografieren und eine Assistentin rennt alle 30 Sekunden zu ihnen, um die Kostüme zu richten, Sonnenschrime auszutauschen, Posen anzuweisen, als würde sie mit Puppen spielen.





Ich trage meine Yokohama Origami Ohrringe und sehe eine Katze, die vielleicht Glück bringen wird. Jedenfalls hatte sie Einfluss auf den Titel dieses Eintrags.




Halt an Stop Musashi Kosugi. Prokrastination? Schon, aber ich brauche unbedingt Muji Ordnerhalter, Pinnwand und Stoff aus dem 100 Yen Store und dieses Steckpferd. Unbedingt. Dazu noch einen Sekundenkleber, weil iPad Schutz auseinanderfällt und Ohrring auch. Für 100 Yen erwarte ich nicht sehr viel. Aber oho, mit dieser Tube ist nicht zu spaßen. "Super glue ultra fast drying" hält leider, was er verspricht. Schon sind meine Finger überzogen von einer Klebeschicht, die um ihr Leben nicht weichen möchte. Auch Leggings ist betroffen, klebt sogar leicht am Bein und hinterlässt Rötung auf Oberschenkel. Teufelszeug. Aber Hülle wie neu und von den Ohrringen wird in den nächsten 300 Jahren kein Stein mehr fallen.






Ok, Essay. Muss sein. E-Museum zauberhafte Hilfe mit Bildern aller Ansichten meiner Ogiwara Statue. Ich schreibe, dass sie westlich geprägt ist, weil: Ogiwara war Schüler von Rodin, der wiederum Michelangelo als Vorbild betrachtete. Kupferstatue nicht besonders japanisch. Nackte Kunst auch nicht (die Hokusai Zeichnungen galten eher als Pornografie denn als hohe Kunst). Soll heimlichen Schwarm des Künstlers darstellen, was - in my opinion - nicht sehr japanisch ist, uchi und soto und so. Soll die Dozentin davon halten, was sie will.




Hätte aber sehr schlechtes Gewissen, die Analyse so abzugeben, ohne das Werk je mit eigenen Augen gesehen zu haben. Also Donnerstag morgens früh zum Museum of Modern Art, das auch gerade von einer Schulklasse, bzw. der schieren Menge nach zu urteilen, von einem ganzen Jahrgang besucht wird. Sie sind überall. Auch im "room with a view" über den Park des Kaiserpalasts.





Im Museum Werke der Meiji Ära, Moderne kommt nach Japan. Technik, Mode, geometrische Figuren, Ölmalerei, nackte Frauen mit Achselhaaren, Euro Muskeln als Zeichen der Stärke Japans (?!), Foujita, der in Paris nur Frauen und Katzen malt. Und sich selbst, von Zeit zu Zeit.






Auch Landscape with an Eye von Ai-mitsu ist zu sehen. Erinnert an Bregenzer Festspiele oder die Augen von T.J. Eckleburg.
"But above the grey land and the spasms of bleak dust which drift endlessly over it, you perceive, after a moment, the eyes of Doctor T.J. Eckleburg. The eyes of Doctor T.J. Eckleburg are blue and gigantic- their retinas are one yard high. They look out of no face but, instead, from a pair of enormous yellow spectacles which pass over a nonexistent nose…But his eyes, dimmed a little by many paintless days under sun and rain, brood on over the solemn dumping ground." (22,10ff.)




Und - Mut zur Hässlichkeit - nicht alles im Museum ist "schön". Der Kurztext zum Portrait Alma Mahlers von Oskar Kokaschka beschreibt sie als "beautiful and terrifying" zugleich. Ex-Lover Kokoschka habe nach Trennung eine lebensgroße Puppe mit sich herumgetragen. Oh lord. Und so richtig niedlich ist die "Hornless Cat" von Yoshitomo Nara nun einmal auch nicht. Als "genderless child" im "weird cat costume" wird das Werk vom Museum deklariert.



Keine Zeit für Kaiserpalast Garten, weil Shio Kurs. Wieder nicht so super spannend, der Vortragende versucht das mit KitKats als Melde-Belohnung auszugleichen. Kitto Katto heißt im Japanischen etwa "sicherer Sieg", sagt Prof und verweist auf Examen in drei Wochen.



Noch mehr Kunst. Weil ich sonst alles vergessen würde, wird es hier gespeichert. Deal with it. 1893, Kuroda ist aus Paris zurückgekehrt und sucht traditionelles Japan. In Kyoto, wo sonst. Aber das "Maiko" Gemälde drückt Distanz aus: sie ist abgelenkt, als Entertainerin unter seinem gesellschaftlichen Stand, nicht gemalt aus direkter Nähe. Und wie Kuroda sie malt: im verschwommenen Kimono, sodass die aussagekräftigen Motive nicht identifizierbar sind. Und so ein Kimono erst, wenig kosmopolitisch - wer so etwas malt, muss ein Tourist sein. Dazu ist sie viel zu groß. Wie ein Rise, sagt die Professorin. Das europäische Ideal. Kuroda fühlt sich womöglich fremd, überlegen als Paris-trained Künstler.
Vier Jahre später malt er "Lakeside". Ganz anderer Eindruck. Die Frau wirkt nicht so vergegenständlicht. Sie hat Verstand, ist eine autonome Person. Der Künstler ist ihr näher. Casual aber elegant gekleidet. Die Jahreszeit, Sommer, ist sofort erkennbar, wie es sich für ein japanisches Bild gehört.



Nächstes Thema, Tokyo als moderne Metropole nach dem 1923 Kanto Erdbeben. Mit Ginza U-Bahn! Und kecken Mädchen in kurzen Röcken, die auf Hochhäusern tanzen? Von wegen. 99% der Frauen tragen auch im Fashion District Ginza tagtäglich den Kimono.




Und dann noch Nihonga und Imeperialismus. Korea besetzt. Und Bakusen stellt die Koreanerinnen als brave, blasse, leicht zu unterdrückende Mädchen dar. China hingegen gilt als modern, Kleider für die selbstbewusste Frau. Europäisch, attraktiv, anziehend, mysteriös, aber auch bedrohlich.




Habe meinem Bruder versprochen, ihm eine Karte zu schicken. Vergesse sie aber immer wieder. Beschluss, das heute nachzuholen, wenn ich nur irgendwo in Uni-Nähe eine Postkarte finde. Das Fuji Motiv ist schön. Stelle nach Kauf fest, dass es nur Umschläge sind. Also keine Karte, nur loses Blatt mit kurzem Text im Fuji Umschlag verschickt. Sorry. Aber der Umschlag ist schön, nicht?


In der Hiyoshi Mall werden diese absurd kawaii Hausschuhe angeboten. Für Kinder. Es gibt also absolut keine Rechtfertigung, rationale Gründe, sie zu kaufen. Repeat to self.



Am Freitag Lunch in der Mensa, hier wird seit Montag Weihnachtsmusik gespielt. Bin spät dran, es gibt keine Joghurts mehr. Also darf ich Kekse und Kaffee haben. Im Café. Lerne dabei für Grammatik Test. Heute Einführung des Akkusativs, "Ich esse Sushi". Wen oder was tabemas? Sushi o tabemas. Der Mönch auf dem Foto isst gar nichts. Nani mo tabemasen.



Zum Wohnheim, immer viele Menschen unterwegs. Diesen Eintrag schreiben. Bildersuche führt nicht immer zu exakt dem, was man beabsichtigt. 



Kurt Tucholsky

Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
dann zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? Vielleicht dein Lebensglück...
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hast's gefunden,
nur für Sekunden...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück...
vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
und zieht vorüber...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

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