Dienstag, 24. November 2015

Eintrag N11 - Going West

Im Reisebus verlassen wir Bling-Bling-Shinjuku. Der Bus ist bequem, so bequem so ein Bus sein kann. Eher gedöst als geschlafen, aber bei Ankunft um 7 Uhr gilt Müdigkeit nicht. Der erste Erkundungstag steht bevor. Kanazawa hat fast eine halbe Million Einwohner und liegt an der Küste zum japanischen Meer (...nicht gesehen, shame on us.). Die ersten Eindrücke: Es ist kalt. Die Straßen sind leer. Es scheint, als habe man in den letzten Jahren hohe Summen investiert, um die Attraktivität der Stadt zu erhöhen. Besonders fröhlich und lebenswert wirkt hier auf den ersten Blick aber nichts.



Aber es gibt: einen schönen Herbst-Park (Kenrouken), die Burg (nach Bränden und Blitzen nicht viel von Edō-Original übrig, Wiederherstellung 2001), eine Markthalle (Fische, Krebse, tot und lebendig) und alte Viertel mit Geisha-, Tee- und Samurai-Häusern.







Freitag vormittags weiter in Kanazawa. Nach dem Sweatshirt-Wetter in Tokyo ist der schneidende Wind hier kaum auszuhalten. Nur in neuem Pulli und Fleece-Strumpfhosen aus dem 300 Yen Shop. Der Pulli kommt über die Daunenjacken, sodass ich sehr rund aussehe, Wonneproppen-Manier. Wir besuchen ein Seidenmalerei-Museum.




Bus nach Shirakawa-gō. Das Dorf ist ein UNESCO Weltkulturerbe. Ein bisschen wie das Freilichtmuseum Syke, ABER mit imposanter Berg-/Flusskulisse und Reisfeldern, bewohnter Nachbarschaft, vielen japanischen Touristen, alten Seidenspinnereien (inkl. Raupennestern), Andenkenläden und Dango-Kiosken.






Übernachtung in einem japanischen Onsen Hotel in Hirayu. Im Schrank liegen Yukata bereit.


Am Samstagmorgen fühlen wir uns nach Alaska versetzt. Oder Twilight-Washington. Aus den Gullis steigt der Dampf der heißen Quellen.



Also Onsen Besuch. Unbekleidet. Badeanzug, Bikini? Nix. Nur ein kleines Handtuch, das man im Becken auf dem Kopf balanciert. Ist nicht ganz so furchtbar und unangenehm wie befürchtet. Denn es ist leer und je großem Becken nur 2-3 Badende in eigenen kleinen Einbuchtungen. Trotzdem seltsam. Man wäscht sich und läuft dann im Außenbereich zwischen verschiedenen Becken umher, die nach Schwefelgehalt (aka faulem Eiergeruch) und Temperatur variieren.


Dem Onsen sind Relax-Bereiche, Hütten zum Familienurlaub und ein sehr schönes Restaurant angeschlossen. Bekleidete Gäste, jaja. Wie ein Spa. Oder eine Art japanischer Center Park ohne die lauten Entertainment-Aspekte und schreienden Kinder.




Abends Bus nach Takayama, knapp 100.000 Einwohner. Und diese sind sehr lieb und guter Stimmung. Im Izakaya wollen wir eigentlich nur einen Teller essen. Aber der Koch reicht lachend Aperitivi (wunderbare Edamame Sojabohnen, Kartoffeln, Lotuswurzeln, unbekanntes Gemüse) zum "Testen". Dann Tofu. Dann füllt er von allem nach. Schließlich gibt ein Gast Sake aus. Und ein zweites Glas. Koch und amerikanische Kellnerin sind sehr amüsiert, verabschieden uns mit Umarmung.




Am Sonntag laufen wir durch den Stadtkern. Ein Morgenmarkt weilt vor dem ehemaligen Verwaltungssitz Takayama-jinya (darin Folterkammer für abgabeunwillige Bauern), Tempel und Schreine, die rote Brücke. Wegen der Altstadt-Gassen wird Takayama auch das 'kleine Kyoto' genannt. Von hier kamen die Handwerker, die in der ehemaligen Hauptstadt arbeiteten. Zurück zu Hause haben sie den Baustil übernommen, in simplerer Form.











Durch die Berge, an Klippen entlang, fahren wir nach Matsumoto, 240.000 Einwohner.


Montag letzter Reisetag, Erkundung der Stadt. Wieder gibt es Gassen und Tempel (und Elektrizitätstürme). Wichtigste Sehenswürdigkeit ist die Burg. Ein freiwilliger Guide bietet uns eine Führung an. Er erklärt erdbebensichere Bauweise, Abwehrmechanismen (Burg wurde aber nie angegriffen da kurz vor Edō-Friedensperiode gebaut), Samurai Uniformen (George Lukas studierte sie für Darth Vader Kostüm), verstecktes Stockwerk und Seppuku-Selbstmord-Ort für Samurai-Fürst im Fall einer Niederlage.










Am Abend nehmen wir den Bus zurück nach Tokyo. Schon zig Minuten vor dem Eintreffen beginnen die Lichter der Stadt, uns zu begrüßen. Sie säumen die Straßen bis in die Ferne.

Das Reisen hat ungekannte Seiten des Landes aufgedeckt. Und auf Personen neues Licht geworfen. Wir sind im Endeffekt doch nur so schön wie die Worte, die wir sprechen, und die Manieren, die wir anderen zuerkennen. Ich sehe die Ironie darin, auf einem persönlichen Blog die "full of oneself"-Mentalität zu beklagen. No harm done, no likes sought, entkräftet die Gleichsetzung bestenfalls.



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