Freitag, 27. November 2015

Eintrag N12 - Warm und kalt

Post-Kanazawa Woche. Wenige Ereignisse. Zu beschäftigt mit persönlicher 7/11-Baumkuchen-Challenge. Wer auch immer die Legende in die Welt gesetzt hat, man würde im Japan-Austausch abnehmen, der hatte diese kleinen Küchlein nicht entdeckt. In einer Packung sind 10 einzeln verpackte Viertel oder Fünftel oder derartiges. Wenn man die Packungen über die Woche verteilt in verschiedenen Filialen kauft, fällt die einseitige Diät auch keinem auf.
So ansetzender Winterspeck reicht aber nicht vollständig. Heranziehende Kälte macht noch zu schaffen. Und Isolierung ist Fremdwort in erdbebensicheren japanischen Lego-Bauten. Meine Klimaanlage unwillig, daran etwas zu ändern. Als sich auch bei Temperaturwunsch 27 Grad nichts tat, musste Google translate herbeigezogen werden. Heizfunktion gefunden (jetzt reichen 21 Grad). Manch anderer Knopf bleibt rätselhaft.



Eigentlich ist Dienstag noch frei. Aber die Kultur/Science-Professorin hält davon gar nichts. Schließlich seien wir alle wissenshungrige Graduate Students, die gerne morgens zum Campus kommen, um weiterem Vortrag zu lauschen. Dieses Mal Online-Kommunikation in Japan. Man benutzt Line statt Whatsapp (denn hier riesiges Emoji-Angebot, ^_^) und Twitter ist auch sehr beliebt (weil 180 Zeichen-Begrenzung in japanischer Schrift Proustsche Sätze zulässt). Schließlich, wenn bei Line niemand antwortet und bei Twitter niemand followed, kann man einfach einen Freund mieten. Für einen Spaziergang. Oder einen Onkel/Trauzeugen für die eigene Hochzeit. Sogar einen Ehemann, der beauftragt werden kann, sich bei Nachbarn zu beschweren oder mit dem Kind Hausaufgaben zu machen. Wer nicht gleich einen Ehemann möchte, kann die light-Version ordern. Einen Boyfriend, um den ganzen Beziehungs-Krimskrams mal auszuprobieren.



Gartenkurs am Mittwoch eher Wiederholung. Wieder geht es um Karpfen, die Wasserfälle hochschwimmen und zu Drachen werden. And that's why Pokemon is high culture. Drache etwas Gutes, Zeichen des Kaisers. Auch Steingärten thematisiert. Wurden aus Geldnot geboren, denn günstiger als Teich. Auch die kleinen Steingipfel in diesen Gärten - pure Rationalität, sorry. Sind lediglich Lager für gerade nicht gebrauchte Kiesel. Dann gucken wir Film über Teezeremonie. Teehaus wird durch Mini-Eingang betreten, nachdem man ausgiebig Garten begutachtet und sich in besinnliche Tee-Stimmung versetzt hat.




Abends für Orga-Architecture-Examen gelernt. Eher trocken. Und alt. Das verehrte Textbook bezieht all seine Beispiele aus den Achtzigern. J. C. Penney seither nicht mehr unbedingt Paradebeispiel guter Geschäftsstrategie. Hatte 2014 ein Net Income von Minus 771 Millionen USD. Olé.



Also Test am Donnerstag. Und wie könnte es anders sein - alle Ankreuz-Fragen kommen aus einem Textbook-Teacher's-Begleitbuch. Auch für die offene Frage hätte man idealerweise das Buch zitiert.

Im Kunstkurs heute Krieg. Im Pazifik und weltweit. Unter Deckmantel, Asien von den Kolonialisten zu befreien, gliedert sich Japan Territorien Chinas an. In Massakern, Blut, Kriegsverbrechen. Im Inland rattert derweil die Propaganda. Künstler machen aus Überzeugung oder gegen Finanzierung der Malutensilien mit. Message der Bilder: Ordnung, schöne neue Landschaften, wohlgenährte zuversichtige Soldaten, kräftige Verhandlungspartei, gute Organisation, blauer Himmel. Keine Trümmer, kein Hunger, keine Toten, kein Widerstand. Und "conveniently" sind auch nie Einheimische zu sehen. Besser Mount Fuji, für den es zu kämpfen gilt. Wie die Kirschblüten sollen die jungen Soldaten in der Blüte ihres Lebens sterben. Die Kamikazeflieger lernen nur abzuheben, nicht zu landen. Heroisch soll ein solcher Tod sein, zeitlos, nicht umsonst. Ein Bild zeigt eine Frau mit Kind im Arm, die die Todesnachricht ihres Mannes mit gefasster, entschlossener Miene entgegennimmt. "A Brilliant Reunion" ist es betitelt und wurde in Frauenzeitschriften publiziert.
Foujita malt auch dunkle Bilder. Dozentin hinterfragt Propaganda-Wert, denn wie schafft dieses Elend Kriegsmoral? Szene bildet Selbstmord japanischer Zivilisten auf der Insel Saipan ab. Eher Klippen als Kapitulation. 2005 besuchte das jetzige Kaiserpaar den Ort. Auch wenn nicht ausdrücklich Reue mitgeteilt wurde, hatte die Geste Aussagekraft.
Bei jungen Künstlern ist die Resistenz größer. Ai-Mitsu malt mit dünner Tinte Selbstportraits. Selbstportraits in einer Zeit, in der das Selbst doch ganz hintenangestellt werden soll? Dazu die hoffnungslosen Augen und die gar nicht so idealtypische, wenig kriegerische Physik.
Was passiert nach der Kapitulation? Der Kaiser empfängt General MacArthur im Anzug, keine Uniform. Untersetzt und doch Seite an Seite.
Einmal wird die Stimme der Dozentin leiser. Die Linie zwischen Krieg, Gewalt und Frieden sei so dünn. Im Sommer wurde eine Verfassungsänderung zur Militarisierung Japans verabschiedet. Auf Okinawa und Saipan wird wieder Urlaub gemacht, das Vergessen hat eingesetzt. Man solle Lehren aus der Vergangenheit ziehen.









Indisches Dinner mit D. Die Köche finden unsere Anwesenheit sehr unterhaltsam.
Am Freitag strahlend blauer Himmel. Nicht ganz so freundlich begegnet uns der Japanischtest. Aber das ging vorüber und so auch die ganze Woche.

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