Sonntag, 29. November 2015

Eintrag N13 - Garten und Ghibli

Letzter November-Eintrag. Lucky Number 13. Es werden immer weniger. Aber Qualität statt Quantität und so.
Als Hausaufgabe für den Garten-Kurs fahre ich nach Edogawa. Zwei Stunden. Da fährt sonst niemand hin. Außer viele Pendler, die in großen Häusern zwischen großen Häusern wohnen. Der Garten ist also willkommen. Nebenan ein Baseballfeld, ein kleiner Zoo, ein Skatepark, auf dem kleine Kinder auf und ab rennen.
Vortrag zum Heisei Garten steht in zwei Wochen an und ich werde mir irgendetwas über Symmetrien, buddhistische Symbole und Fluchtpunkte einfallen lassen müssen. Kein besonders berühmter Garten, also auch nicht online dokumentiert. Erst recht nicht auf Englisch. Leider Kamera nicht sehr gut, Sonne wich bereits.





Edogawa Eindrücke.



Am Sonntag Dorm-Ausflug ins Ghibli Museum! Etwas außerhalb Tokyos tauchen wir in die Traumwelt von Miyazaki und Takahata ein. Das Gebäude ist wunderschön, mit schmiedeeisernen Treppengeländern, bunten Bleiglasfenstern und warmem Parkett. Die Ausstellungsräume zeigen zahllose Skizzen und stellen die Ateliers der Künstler nach (na ja, jedenfalls die romantische Version ohne PCs). Jedenfalls wird dem Besucher bewusst, die viel Research hinter den Filmen steckt. Dass ein Hund nur gezeichnet werden kann, wenn man vorher seine Bewegungsabläufe studiert hat. Bücher über Bücher stapeln sich: Gemäldegalerien Europas, Panzer, Flugzeuge, Pferde, Architektur, Mode, Anatomie. Man darf im Kino einen Kurzfilm gucken. Und im Shop einkaufen.
Museum sehr zu empfehlen, weil alles hochwertig und nicht zu verkindlicht ist. Trotzdem fühlt man sich in das Ghibli Universum versetzt. Auch als nicht-Fan.








Essen im Wired Café. Portion fiel eher klein aus, aber dafür sehr schön anzusehen.

Freitag, 27. November 2015

Eintrag N12 - Warm und kalt

Post-Kanazawa Woche. Wenige Ereignisse. Zu beschäftigt mit persönlicher 7/11-Baumkuchen-Challenge. Wer auch immer die Legende in die Welt gesetzt hat, man würde im Japan-Austausch abnehmen, der hatte diese kleinen Küchlein nicht entdeckt. In einer Packung sind 10 einzeln verpackte Viertel oder Fünftel oder derartiges. Wenn man die Packungen über die Woche verteilt in verschiedenen Filialen kauft, fällt die einseitige Diät auch keinem auf.
So ansetzender Winterspeck reicht aber nicht vollständig. Heranziehende Kälte macht noch zu schaffen. Und Isolierung ist Fremdwort in erdbebensicheren japanischen Lego-Bauten. Meine Klimaanlage unwillig, daran etwas zu ändern. Als sich auch bei Temperaturwunsch 27 Grad nichts tat, musste Google translate herbeigezogen werden. Heizfunktion gefunden (jetzt reichen 21 Grad). Manch anderer Knopf bleibt rätselhaft.



Eigentlich ist Dienstag noch frei. Aber die Kultur/Science-Professorin hält davon gar nichts. Schließlich seien wir alle wissenshungrige Graduate Students, die gerne morgens zum Campus kommen, um weiterem Vortrag zu lauschen. Dieses Mal Online-Kommunikation in Japan. Man benutzt Line statt Whatsapp (denn hier riesiges Emoji-Angebot, ^_^) und Twitter ist auch sehr beliebt (weil 180 Zeichen-Begrenzung in japanischer Schrift Proustsche Sätze zulässt). Schließlich, wenn bei Line niemand antwortet und bei Twitter niemand followed, kann man einfach einen Freund mieten. Für einen Spaziergang. Oder einen Onkel/Trauzeugen für die eigene Hochzeit. Sogar einen Ehemann, der beauftragt werden kann, sich bei Nachbarn zu beschweren oder mit dem Kind Hausaufgaben zu machen. Wer nicht gleich einen Ehemann möchte, kann die light-Version ordern. Einen Boyfriend, um den ganzen Beziehungs-Krimskrams mal auszuprobieren.



Gartenkurs am Mittwoch eher Wiederholung. Wieder geht es um Karpfen, die Wasserfälle hochschwimmen und zu Drachen werden. And that's why Pokemon is high culture. Drache etwas Gutes, Zeichen des Kaisers. Auch Steingärten thematisiert. Wurden aus Geldnot geboren, denn günstiger als Teich. Auch die kleinen Steingipfel in diesen Gärten - pure Rationalität, sorry. Sind lediglich Lager für gerade nicht gebrauchte Kiesel. Dann gucken wir Film über Teezeremonie. Teehaus wird durch Mini-Eingang betreten, nachdem man ausgiebig Garten begutachtet und sich in besinnliche Tee-Stimmung versetzt hat.




Abends für Orga-Architecture-Examen gelernt. Eher trocken. Und alt. Das verehrte Textbook bezieht all seine Beispiele aus den Achtzigern. J. C. Penney seither nicht mehr unbedingt Paradebeispiel guter Geschäftsstrategie. Hatte 2014 ein Net Income von Minus 771 Millionen USD. Olé.



Also Test am Donnerstag. Und wie könnte es anders sein - alle Ankreuz-Fragen kommen aus einem Textbook-Teacher's-Begleitbuch. Auch für die offene Frage hätte man idealerweise das Buch zitiert.

Im Kunstkurs heute Krieg. Im Pazifik und weltweit. Unter Deckmantel, Asien von den Kolonialisten zu befreien, gliedert sich Japan Territorien Chinas an. In Massakern, Blut, Kriegsverbrechen. Im Inland rattert derweil die Propaganda. Künstler machen aus Überzeugung oder gegen Finanzierung der Malutensilien mit. Message der Bilder: Ordnung, schöne neue Landschaften, wohlgenährte zuversichtige Soldaten, kräftige Verhandlungspartei, gute Organisation, blauer Himmel. Keine Trümmer, kein Hunger, keine Toten, kein Widerstand. Und "conveniently" sind auch nie Einheimische zu sehen. Besser Mount Fuji, für den es zu kämpfen gilt. Wie die Kirschblüten sollen die jungen Soldaten in der Blüte ihres Lebens sterben. Die Kamikazeflieger lernen nur abzuheben, nicht zu landen. Heroisch soll ein solcher Tod sein, zeitlos, nicht umsonst. Ein Bild zeigt eine Frau mit Kind im Arm, die die Todesnachricht ihres Mannes mit gefasster, entschlossener Miene entgegennimmt. "A Brilliant Reunion" ist es betitelt und wurde in Frauenzeitschriften publiziert.
Foujita malt auch dunkle Bilder. Dozentin hinterfragt Propaganda-Wert, denn wie schafft dieses Elend Kriegsmoral? Szene bildet Selbstmord japanischer Zivilisten auf der Insel Saipan ab. Eher Klippen als Kapitulation. 2005 besuchte das jetzige Kaiserpaar den Ort. Auch wenn nicht ausdrücklich Reue mitgeteilt wurde, hatte die Geste Aussagekraft.
Bei jungen Künstlern ist die Resistenz größer. Ai-Mitsu malt mit dünner Tinte Selbstportraits. Selbstportraits in einer Zeit, in der das Selbst doch ganz hintenangestellt werden soll? Dazu die hoffnungslosen Augen und die gar nicht so idealtypische, wenig kriegerische Physik.
Was passiert nach der Kapitulation? Der Kaiser empfängt General MacArthur im Anzug, keine Uniform. Untersetzt und doch Seite an Seite.
Einmal wird die Stimme der Dozentin leiser. Die Linie zwischen Krieg, Gewalt und Frieden sei so dünn. Im Sommer wurde eine Verfassungsänderung zur Militarisierung Japans verabschiedet. Auf Okinawa und Saipan wird wieder Urlaub gemacht, das Vergessen hat eingesetzt. Man solle Lehren aus der Vergangenheit ziehen.









Indisches Dinner mit D. Die Köche finden unsere Anwesenheit sehr unterhaltsam.
Am Freitag strahlend blauer Himmel. Nicht ganz so freundlich begegnet uns der Japanischtest. Aber das ging vorüber und so auch die ganze Woche.

Dienstag, 24. November 2015

Eintrag N11 - Going West

Im Reisebus verlassen wir Bling-Bling-Shinjuku. Der Bus ist bequem, so bequem so ein Bus sein kann. Eher gedöst als geschlafen, aber bei Ankunft um 7 Uhr gilt Müdigkeit nicht. Der erste Erkundungstag steht bevor. Kanazawa hat fast eine halbe Million Einwohner und liegt an der Küste zum japanischen Meer (...nicht gesehen, shame on us.). Die ersten Eindrücke: Es ist kalt. Die Straßen sind leer. Es scheint, als habe man in den letzten Jahren hohe Summen investiert, um die Attraktivität der Stadt zu erhöhen. Besonders fröhlich und lebenswert wirkt hier auf den ersten Blick aber nichts.



Aber es gibt: einen schönen Herbst-Park (Kenrouken), die Burg (nach Bränden und Blitzen nicht viel von Edō-Original übrig, Wiederherstellung 2001), eine Markthalle (Fische, Krebse, tot und lebendig) und alte Viertel mit Geisha-, Tee- und Samurai-Häusern.







Freitag vormittags weiter in Kanazawa. Nach dem Sweatshirt-Wetter in Tokyo ist der schneidende Wind hier kaum auszuhalten. Nur in neuem Pulli und Fleece-Strumpfhosen aus dem 300 Yen Shop. Der Pulli kommt über die Daunenjacken, sodass ich sehr rund aussehe, Wonneproppen-Manier. Wir besuchen ein Seidenmalerei-Museum.




Bus nach Shirakawa-gō. Das Dorf ist ein UNESCO Weltkulturerbe. Ein bisschen wie das Freilichtmuseum Syke, ABER mit imposanter Berg-/Flusskulisse und Reisfeldern, bewohnter Nachbarschaft, vielen japanischen Touristen, alten Seidenspinnereien (inkl. Raupennestern), Andenkenläden und Dango-Kiosken.






Übernachtung in einem japanischen Onsen Hotel in Hirayu. Im Schrank liegen Yukata bereit.


Am Samstagmorgen fühlen wir uns nach Alaska versetzt. Oder Twilight-Washington. Aus den Gullis steigt der Dampf der heißen Quellen.



Also Onsen Besuch. Unbekleidet. Badeanzug, Bikini? Nix. Nur ein kleines Handtuch, das man im Becken auf dem Kopf balanciert. Ist nicht ganz so furchtbar und unangenehm wie befürchtet. Denn es ist leer und je großem Becken nur 2-3 Badende in eigenen kleinen Einbuchtungen. Trotzdem seltsam. Man wäscht sich und läuft dann im Außenbereich zwischen verschiedenen Becken umher, die nach Schwefelgehalt (aka faulem Eiergeruch) und Temperatur variieren.


Dem Onsen sind Relax-Bereiche, Hütten zum Familienurlaub und ein sehr schönes Restaurant angeschlossen. Bekleidete Gäste, jaja. Wie ein Spa. Oder eine Art japanischer Center Park ohne die lauten Entertainment-Aspekte und schreienden Kinder.




Abends Bus nach Takayama, knapp 100.000 Einwohner. Und diese sind sehr lieb und guter Stimmung. Im Izakaya wollen wir eigentlich nur einen Teller essen. Aber der Koch reicht lachend Aperitivi (wunderbare Edamame Sojabohnen, Kartoffeln, Lotuswurzeln, unbekanntes Gemüse) zum "Testen". Dann Tofu. Dann füllt er von allem nach. Schließlich gibt ein Gast Sake aus. Und ein zweites Glas. Koch und amerikanische Kellnerin sind sehr amüsiert, verabschieden uns mit Umarmung.




Am Sonntag laufen wir durch den Stadtkern. Ein Morgenmarkt weilt vor dem ehemaligen Verwaltungssitz Takayama-jinya (darin Folterkammer für abgabeunwillige Bauern), Tempel und Schreine, die rote Brücke. Wegen der Altstadt-Gassen wird Takayama auch das 'kleine Kyoto' genannt. Von hier kamen die Handwerker, die in der ehemaligen Hauptstadt arbeiteten. Zurück zu Hause haben sie den Baustil übernommen, in simplerer Form.











Durch die Berge, an Klippen entlang, fahren wir nach Matsumoto, 240.000 Einwohner.


Montag letzter Reisetag, Erkundung der Stadt. Wieder gibt es Gassen und Tempel (und Elektrizitätstürme). Wichtigste Sehenswürdigkeit ist die Burg. Ein freiwilliger Guide bietet uns eine Führung an. Er erklärt erdbebensichere Bauweise, Abwehrmechanismen (Burg wurde aber nie angegriffen da kurz vor Edō-Friedensperiode gebaut), Samurai Uniformen (George Lukas studierte sie für Darth Vader Kostüm), verstecktes Stockwerk und Seppuku-Selbstmord-Ort für Samurai-Fürst im Fall einer Niederlage.










Am Abend nehmen wir den Bus zurück nach Tokyo. Schon zig Minuten vor dem Eintreffen beginnen die Lichter der Stadt, uns zu begrüßen. Sie säumen die Straßen bis in die Ferne.

Das Reisen hat ungekannte Seiten des Landes aufgedeckt. Und auf Personen neues Licht geworfen. Wir sind im Endeffekt doch nur so schön wie die Worte, die wir sprechen, und die Manieren, die wir anderen zuerkennen. Ich sehe die Ironie darin, auf einem persönlichen Blog die "full of oneself"-Mentalität zu beklagen. No harm done, no likes sought, entkräftet die Gleichsetzung bestenfalls.