Busfahrt mit Aussicht entlohnt für Such-Strapazen und 9€ Ticketpreis. Erste Blicke auf Tokyo Skyline und - nach drei Monaten, my bad - auf Odaiba, künstliche Insel, bekannt als Vergnügungsviertel. Das spektakuläre Fuji TV Building von Architekt Kenzo Tange mit der Kugel zwischen den Gängen als Wahrzeichen der Insel.
Wir durch- und überqueren lange Tunnel und Brücken, gemeinsam mit etlichen Lastwagen, die die 30-Millionen-Metropole mit allem, allem, allem versorgen.
Etwas zu spät zum Kurs zurück in Tokyo. Eine Gruppe vergleicht internationale Strategie von Kia mit derer Suzukis. Ziemlich müde zum Dorm.
Dienstag beginnt mit Kulturkurs. Vortrag zur Yakuza. Name beruht auf schlechtester Kartenkombination im Spiel Oicho Kabu: 8 (ya) 9 (ku) 3 (sa). Die Yakuza ist der Oberbegriff für fünf kriminelle Organisationen, die Erpressung, Prostitution, Menschen- und Drogenhandel betreiben. Geld kommt auch aus Schutzgelderpressungen und Pachinko-Einflussnahme. Seine Ursprünge soll das Treiben gerade bei der japanischen Regierung haben, die die Bakuta Gruppe beauftragte, mit Glücksspiel den städtischen Bauarbeitern den Lohn wieder aus den Taschen zu ziehen. Die Gruppen repräsentieren verschiedene Stände, z.B. Männer aus Samurai-Familien oder beruflich Ausgestoßene. Wer im buddhistisch geprägten Japan mit toten Körpern handelt - Metzger, Lederverarbeiter - wird auch heute noch von der Gesellschaft ausgeschlossen, von Unternehmen auf bloß-nicht-einstellen-Namenslisten gesetzt.
Die Gruppen agieren recht offen, zeigen gerne ihre Tattoo-Pracht im Shinjuku Bezirk. Sie wollen sich als Helfer der Bevölkerung positionieren, indem sie Stalker-Opfern 'helfen' und massenweise Hilfsgüter in Katastrophengebiete schicken - oft schneller als der Staat.
In beliebten Filmen werden sie thematisiert. Trotzdem ist den Japanern im Raum merklich unbehaglich zumute. Keiner möchte kommentieren, das Thema mache sie nervös. Lange waren Informationen zu den Gruppen unzugänglich. Das hat sich mit dem Internet geändert. Die Angst bleibt, in der Öffentlichkeit spreche man nur von 'Ya', der volle Name werde vermieden.
Oft sieht man diese Rucksäcke. Marke "Möbus", diese sei "die Traditionsmarke" und "international bewährt". "Die meinen wohl 'ausschließlich international bekannt'," merkt andere Deutsche an.
Noch immer Herbststimmung.
In der Pause schleichen sich drei japanische Studenten zur Professorin und erläutern zaghaft ihr Problem. Sie fühlen sich "uncomfortable" mit dem Thema. Kein Wunder, hatte das vierte Gruppenmitglied, ein all-American-American, die Präsentation als Lehrstunde im Cowboy-Marketing-101 genutzt.
Schließlich Thema Social Marketing, also Initiativen für die Allgemeinheit. Gegen Zigaretten in Japan kann das nicht ohne Interessenskonflikte geschehen, der Staat hält eine Beteiligung an Japan Tabaco. Fallstudie: In NYC sollen die Riesenbecher in Restaurants verboten werden, wie gewinnt man dafür die Unterstützung der Bevölkerung? Bloomberg setzt auf Angst. Wer sowas trinkt, schluckt Zucker, bekommt Diabetes und verliert sein Bein. Damn.
Mittwoch Gartenkurs, wie immer. Edō Periode, 1603-1868. Die Tokugawa herrscht über Japan. Und damit das so bleibt, legt sie den Provinzfürsten (Daimyo) nahe, sich intensiv mit dem Gartenbau zu beschäftigen. Wie gesagt, Gärten sind teuer, und so bleibt wenig Geld für die Instandhaltung der Hausarmee. Zu der Zeit wird auch der Kinkakuji Garten angelegt, mit einem mehrstöckigen Tempel, das unterschiedliche Architekturstile vereint. So schön war er, dass ein Mönch ihn 1950 niederbrannte. Es sei falsch, jeden Tag neben solchem Überdruss zu leben. Laut Wikipedia wurde der Mönch zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, wieder freigelassen, als Schizophrenie und Verfolgungswahn festgestellt wurden, und starb dann an Tuberkulose. Schlechtes Karma. Falsche Schönheit hin oder her, der Tempel wurde wieder aufgebaut.
Donnerstag, letzter Tag dieses Eintrags, puh. Keine Auffälligkeiten im Shio Kurs.
Im Kunstkurs hingegen viele davon. Etwa Yves Klein, der die Pariser Upper Class einlädt und - begleitet von einem Streichquartett - nackte Frauen im signature Blau auf Leinwände presst. Wie die Damen in Chanel darauf reagiert haben, ist nicht überliefert. Die japanischen Künstler verzichten auf Klassenkritik, nicht aber auf das Auffallen. Performance Art nennt es sich, im Glühbirnenkleid aufzutreten.
In den 60ern dann Radikalismus! Ganz radikal will man Kunst ganz ablehnen. Establishment und so. Trotzdem sind die eigenen Werke aber etwas ganz Besonderes? Welch Dilemma. Offensichtlich wird nicht mehr fein gemalt. Werke sind nicht selbstgemacht, sondern Ansammlungen unterschiedlichster Gegenstände. Visuell ansprechend möchte diese Kunst nicht sein. 'Junk Art', den Müll eines anderen Künstlers in ein Glas abfüllen zum Beispiel. Oder Wäscheklammern an eine Leinwand heften. Doch was ist mit den Klammern, die herunterfallen? Sind sie immer noch Kunst? Oder können sie zurück in die Supermarktpackung? Grenzen verschwimmen. Gut also, dass es bei der Yomiuri Indépendent Exhibition keine Jury gab. So konnten die Schaffensfreudigen "all sorts of things" anschleppen.
Kunst ist, was zu Kunst erklärt wird, im Museum gezeigt wird. Neue Künstlergeneration misstraut diesem institutionellen Prozess. Wer geht schon in Museen, in Gallerien? Die sind für die Mehrheit der Gesellschaft irrelevant. Jetzt sollen die Massen entscheiden, im Rahmen von Happenings. Als Tokyo die Bevölkerung zu absoluter Sauberkeit anlässlich der Olympischen Spiele aufruft, ziehen sich einige Studenten Kittel und Masken an, stellen Warnschilder auf und putzen die Straßen. Niemand hinterfragt die Aktion, die Studenten erhalten sogar Lob von Passanten. Moral daraus: Solange du den Leuten eine Illusion glaubhaft vorträgst, wirst du damit durchkommen. Trifft das auch auf Bilder zu? Andere Gruppe setzt auf gewagtere Mittel. Manchmal muss man die Menschen zu ihrem Glück zwingen, denken sie sich und werfen im Ochanomizu Drop Gegestände von einem Dach, auf den Bürgersteig. Die Gegestände sammeln sie wieder ein, packen sie in einen Koffer, den sie in einem Schließfach deponieren. Den Schlüssel schicken sie dann an eine zufällig aus dem Telefonbuch ausgewählte Person. Voilà.
Schließlich Kommunikationskurs. Meine Gruppe präsentiert. Gendered Communication. Ein Text heißt "The Politics of Gender in Japan", der andere trägt den zärtlichen Titel "Grass Eating Girly Men". Geschlechtsbespezifische Verhaltensweisen sind in Japan bizarr. Einerseits hat man die japanische Hausfrau, ein Produkt aus Ideal und Unausweichlichkeit, denn es fehlt an Kindergartenplätzen, Halbzeitarbeitsstellen und Akzeptanz von Frauen in hochrangigen Positionen. Andererseits hoch gebildete Frauen, die nicht mehr heiraten, kaum Kinder kriegen und denen von den Medien heftig Angst eingejagt wird. Sie würden später verarmt sterben und erst nach Wochen in ihrer armseligen Single-Wohnung gefunden werden.
Ein Glück für diese Frauen, dass es die 'grasfressenden Männer' gibt, gut 60% der jungen Japaner fallen darunter. Diese wollen - mit den Finanzkrisen im Hinterkopf - ihre Zeit und Interessen nicht mehr für das Büroleben aufgeben und sind tendenzieller bereit, sich an Haushalt und Kindererziehung zu beteiligen. Nebenwirkungen sind ein feminines Aussehen oder eine Obsession mit Mangas, Zügen oder Mädchenbands. Sie verprassen kein Geld für Alkohol, Spiele und andere Frauen, was diese Männer unter den Japanerinnen sehr beliebt macht. Sie gelten als zahm und "heilsam". Sex wollen die jungen Japanerinnen und Japaner auch nicht, ein Viertel der unverheirateten Enddreißiger hat in dem Bereich überhaupt keine Erfahrung. Die generelle Passivität erschwert das Kennenlernen. Dafür gibt es dann die Partnervermittlungs-Treffen, Konkatsu. Eine Art Speeddating, bei dem es aber gleich direkt wird: Gehaltsstatus und Karriereaussichten, Alter, Familienplanung. Hier wird keine Zeit verloren.
Schluss, bitte.
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