Samstag, 19. Dezember 2015

Eintrag D7 - Gute Aussichten

Wieder viel zu lange diesen Eintrag aufgeschoben. Warum, wenn doch ganz schöne Fotos dabei sind. Nur rufen nicht alle Geschichten dazu ebenso danach, erzählt zu werden.


Zum Beispiel Ende der Woche, Donnerstag. Gleich zwei Präsentationen abgehakt, im schwarzen Ledermini und mit müden Augen. Im Shio Kurs erzähle ich von einem dicken Chef und seinem Angestellten Ian, der keine sehr gute Arbeitsmoral aufweist, aber durch Beteiligung am Unternehmen vielleicht doch noch seine Wochenstunden einhalten wird. Ohne Überwachung. Und von Abby und Jess, die die glücklichen Empfänger zweier großzügiger, wenn auch unzuverlässiger Treuhandfonds sind. Und so weiter, nichts Weltbewegendes.




Zweiter Vortrag im Kunstkurs. Von Vorlesung selbst nicht viel mitbekommen. Denn am Morgen gemerkt, dass großer Fehler unterlaufen ist. Wir sollen die Keio Banraisha, eine Art Pausenaula der Uni, vorstellen. Die relevante Version wurde 1951 erbaut, vom Architekten Taniguchi. Googelt man Taniguchi, staunt man nicht schlecht. Sogar NYC MOMA neu designt in 2004. Und jetzt fängt alles an, nicht mehr zusammenzupassen. Dass der gute Yoshio beim Banraisha-Bau 14 Jahre alt war, etwa. Talent hin oder her, hier kann nicht alles mit rechten Mitteln zugehen. Auflösung: Architektenvater Yoshiro war träge bei der Namenswahl seines Architektensohnes. Als Konsequenz hält Google jeden Yoshiro-Interessierten jetzt für einen leichten Legasthenie-Fall und korrigiert das R kurzerhand weg.
Ich schicke neue Slides an die Bling-Bling-Hallo-Hollywood-Südkoreanerin meiner Gruppe, die darauf besteht, alle Slides persönlich dem von ihr präferierten "super artsy" Format anzupassen. In Engelsruhe, unter Ablehnung sämtlicher ppt-Kurzbefehle.




Der Professorin fällt die spontane Änderung nicht auf, sie ist zu beschäftigt damit, ihrer Entrüstung über den derzeitigen Zustand der Aula Ausdruck zu verleihen. Aula wurde nämlich aus Platzgründen versetzt, auf die Terrasse eines anderen Unigebäudes. Und so - aus den Augen aus dem Sinn - hat kein Student der letzten Dekade mehr von ihr gehört. Nur die Raucher, die man hier hin und wieder finde. Reingehen geht eh nicht, Einlass streng limitiert. Das war's also mit der Pausenaula. Das hätten die Erbauer gehasst, ist Professorin überzeugt, und reißt die Laken von den Möbeln.





Wie erwähnt nur mit einem Ohr der Vorlesung zugehört. Es ging um Architektur im öffentlichen Raum. Nach WWII musste die ganze Stadt neu aufgebaut werden. Und dann wuchs die Bevölkerung so zügig, dass in den 60ern zu einem Design-Wettbewerb aufgerufen wurde. Wie um Himmels Willen soll die Stadt ihre bald 15 Millionen Einwohner unterbringen? Kenzō Tange möchte zwischen den Buchten eine Wasserstadt bauen. Das wird so nicht genehmigt. Dafür kommt Odaiba. Die Professorin nennt die künstlich angelegte Insel einen 'aggressiven Ausdruck des japanischen Wirtschaftswunders'. Hier baut Tange das Fuji TV Gebäude, und in Shinjuku darf er das neue Rathaus hochziehen. Ganze 48 Stockwerke Stahl, Beton und moderne Gotik. Die Zuversicht der Bubble-Jahre ermutigte zu Rekord-Ausgaben. Wahrscheinlich fließen noch heute Steuergelder ins Gebäude, sagt Professorin.
Beim 3/11 Erdbeben gab der Bürgermeister gerade ein Interview. Seine Aussage wurde später vor der Publikation gestrichen, aber er soll gesagt haben: "Hier fühlt man sich so unsicher - wer zum Teufel war der Architekt??"




Im Kommunikationskurs thematisieren wir Nationalismus und Minderheiten in Japan. Von drei bis sechs Millionen reichen die Schätzungen. Darunter Koreaner und Südamerikaner. Sowie nicht Zugewanderte: Burakumin, Ainu, Okinawer. All diesen Gemeinschaften haben politische und gesellschaftliche Unterdrückung erfahren, bis heute. Ist die weitläufig akzeptierte Meinung um die 'Japanische Homogenität' also nur ein Mythos, eine Illusion? Und der Ruf nach Besonderheit des Nihonjinron ignorant? Wohl ja. Das scheint nicht bei allen angekommen zu sein. Die japanische Studentin, die die Paper vorstellt, besänftigt die unangenehmen Inhalte mit Sätzen wie "das (Diskriminierung) merkt man gar nicht im Alltag", "ich denke, manche von denen nutzen ihren Status aus", "ich glaube, es gibt schon einige, aber nicht sehr viele, glaube ich".
Ich habe oben bewusst nicht das Wort "diskutieren" gewählt. Weil alle im Kurs lächeln und auch der Prof immerzu in Märchenonkel-Stimme spricht. Das finde ich sehr daneben für einen Masterkurs an einer Universität, die sich damit brüstet, die Elite des Landes auszubilden. Als Austauschstudentin fühle ich mich aber nicht berechtigt, wirklich den Mund aufzumachen. Ist das richtig, ist es falsch?


Nach der Uni Pizza Dinner mit L.



Am Freitag nur Japanischkurse, Buchhandlungs-Besuch in Marunouchi und Erdbeer-Sahne-Pastatieneis-Krokant-Crêpe an der Yurakucho Station.




Samstag. Die Sonne scheint, die Luft ist rein, Fuji-san sehe ich von meinem Balkon! Nur sehr selten ist das möglich.




Beste Bedingungen für einen Ausflug nach Odaiba. Von Asakusa nehme ich die Fähre (11€, 45 min) den Fluss hinab.




In Odaiba erwartet den Besucher: eine Nachbildung der Freiheitsstatue, ein Blick auf die Tokyo Skyline und eisiger Wind.





Es soll auch ein Science Museum geben. Ich finde nur die vielen Shopping Malls. Eine davon heißt "Venus Fort" und macht ihrem Namen alle Ehre. Die Decke ist in dramatischem Dämmerungs-Blau angestrahlt, darunter wähnt man sich zwischen italienischen Palazzi. Ein Bisschen. Solange man nicht gegen die Fassaden klopft und es hohl zurückkommt.


Das Produktangebot aber ist meraviglioso. KitKats nach Wahl mit Wein oder Wasabi, ein Hello Kitty Shop, ein Shinkansen Shop, ein Laden für Hundebesitzer, in dem sich Hund und Herrchen für den nächsten Spaziergang einkleiden können. Im Kiddy Land kann man ab 2€ die Miniatur-Food-Sets kaufen, die diesen Sommer so viel auf youtube bewundert wurden: http://youtu.be/g8gJOCwBuFc









Ich kaufe im Hello Kitty Shop zwei kleine Dosen, die meinem Verständnis nach mit Chips gefüllt sind. Dazu erhalte ich einen Getränke-Gutschein, im vierten Stock gebe es ein ganzes HK Café. Ein bisschen misstrauisch reiche ich dort den Gutschein ein und ehe ich mich versehe sitze ich auf einem der roten Holzstühle. Ich weiß es ist kindisch, aber die Stimmung hebt sich zwischen so viel rot, weiß und Plüschtieren ganz automatisch. An den Tischen sitzen große Hello Kittys auf Kinderstühlen und leisten den Gästen Gesellschaft.





Um sieben Uhr zieht es alle nach draußen, denn...


Das Feuerwerk beginnt! Über der Regenbogenbrücke explodieren zum Klang amerikanischer Weihnachtsklassiker die Raketen. Tannenbäume, Weihnachtsglocken, Smileys und Goldregen funkeln vor dem Nachthimmel.






Danach wollen alle nach Hause. Zusammen. So eng, fast fällt man in die Menge.

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