Freitag, 8. Januar 2016

Eintrag J3 - Vorsicht bissig

Viel zu spät, dieser Eintrag. Also weniger Worte, mehr Fotos. Uni fängt wieder an, mit French Toast. 





Am Mittwoch besorge ich Bambi Ohrwärmer und eine Sumo-Postkarte für die Schweiz. Rückweg dann sehr seltsam. Zurück in der Nähe vom Wohnheim stoppt mich ein Mann, zeigt einen Polizeiausweis und deutet auf meine Tasche. Da er kein Englisch spricht und mein "Wie spät ist es?"-Japanisch keinen Informationsaustausch zulässt, kommt per Telefon eine Übersetzerin hinzu. Und ein zweiter Polizist von der anderen Straßenseite. Ich hätte nicht genug auf meine Tasche aufgepasst, das sei der Grund. Alles komisch. Zwei Polizisten, um mir das zu sagen? Und wofür der Ausweis? Dass ich "doitsu" und "gakusei" bin, scheint wichtig. Übersetzerin am Telefon hält trotzdem daran fest, es gehe allein um die Sicherheit meiner Tasche.






Am Donnerstag noch immer verwirrt von dem Vorfall. Und ein einsetzender später Kulturschock. Dass eine alte Dame mir nachzischt, als ich zur Station laufe, hilft nicht. So sehr fällt man auf. Weil man anders aussieht natürlich. Sich kleidet, durch die Gegend guckt. Bloß keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, in Uggs und großem Mantel durch die Straßen schlurfen, den Blick gesenkt? Und eine Schleife im Haar, der pinke Rucksack.


Uni also. Orga Kurs wie immer nicht so furchtbar spannend. Entspannt.
Im Kunstkurs sind wir schon im "contemporary Japan" angekommen. Kunst und Pop (Sub-)Kultur. In den 90ern beginnt man, die Post-WW2 Katastrophe künstlerisch zu verarbeiten. Seit den 50ern herrschten Dystopien in der jungen Kultur vor: Godzilla, Space Battleship Yamato, Akira, Time Bokan, Neon Genesis Evangelion. Ein Zeichen des Atom-Traumas?






Ein Atompilz im Kinderzeichentrick? Wird toleriert. Professorin vermutet Verdrängung der eigentlichen Bedeutung. Der Schädel wird Schlüsselmotiv Murakamis. 1993 erstellte er "Signblard Takashi": was für ein Künstler er sein möchte. Eine Maschine, Plastik, wie Warhol. Für Japan, wo streng zwischen höher Kunst und kommerziellem Schaffen unterschieden wurde, war das radikal. Murakami möchte Kindlichkeit zelebrieren, massenfähig, ruhig Copycat, kein Drang zur Authentizität. 






Gleichzeitig wird Hello Kitty zur Nationalheldin erhoben. Überraschend für ein britisches Kätzchen/Mädchen, das gerne Tee trinkt und Apfelkuchen isst. Wurde das Phänomen erst trivialisiert, schämten sich Politiker und Behörden bald nicht mehr, das Kätzchen zur Botschafterin, zum Nationalgut zu küren. Professorin hält das für einen verzweifelten Versuch alter Männer, den Japankult wiederzubeleben. "Nippon kawaii" rief auch eines der führenden Kunstmagazine aus. 2011 ist damit Schluss, die Künstler sind genervt und besorgt aufgrund der "Hello Kitty-fication" des Landes. Bye bye Kitty!







Weiterer Künstler: Aida Makoto. Er setzt Ikonen der traditionellen japanischen Kunst in neuer Weise um. Matazos Kraniche werden zu Kriegsfliegern, die Uguisudani Kirschblüten teilen sich die Leinwand mit Hunderten Sex-Telefonkarten. "Selling spring" ist im Japanischen eine Umschreibung für Prostitution. Dann wieder bezieht sich Aida auf die einst als Pornographie geltenden Zeichnungen Hakusais. Die Umsetzung ist ziemlich verstörend. Ein Mädchen in Schuluniform, das weinend von einem Monster-Wesen vergewaltigt wird. "Sick," kommentiert die Professorin. "That's why japan acquired the connotation of strange artistry." 





Schließlich Kommunikationskurs. Politische Kultur in Japan. Erklärt sich recht schnell. "Japanese people don't know so much about politics," kichert eine Japanerin. Mind you, sie studiert Politikwissenschaft. Aber da lerne man mehr über Theorien und so, sagt sie. Man vertraut dem System, hinterfragt wenig, und widerspricht der Autorität schon gar nicht. Egal, ob es um Airbagfehler oder Atomkraftwerke an der wackligen Pazifikküste geht. Unwissen ist bequemer. Korruption gibt es viel. Investigativen Journalismus nicht.





Weniger kontrovers am Freitag. Wir lernen, dass viele Adjektive eine Vergangenheitsform haben: Das Essen ist lecker, war aber nicht "lecker". Ohje.


Mit S abends ins Kabuki Theater in Ginza. Für etwa 10€ kann man an der Abendkasse kurz vor Beginn ein Ticket für einen Akt erwerben. Das Theater ist groß, die Bühne riesig. Wir sitzen in oberster Reihe zwischen all den anderen Ausländern. Nur Japaner kommen für das ganze vierstündige Stück, manche im Kimono. Einige Leute haben Übersetzungsgeräte gemietet. Aber man versteht auch so einigermaßen, was vor sich geht. Denn die Schauspieler verhalten sich nicht gerade dezent. Alles Männer, auch in den Frauenrollen. Sie quietschen und kreischen und albern herum. Wir trotzige Dreijährige.





Japanisches Dinner. Rückweg über die Treppe, entgegen dem Rat der Pfeile.


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